Frauenstreiktag

«Hebammen unterstützen Frauen – Frauen unterstützen Hebammen»

Der Schweizerische Hebammenverband unterstützt den Frauen*streik vom 14. Juni. Alle Verbandsmitglieder werden aufgefordert, sich mit dem Slogan «Hebammen unterstützen Frauen – Frauen unterstützen Hebammen» auf ihre ganz persönliche Weise einzubringen. Der Streik wird von Gewerkschaften, Frauenverbänden sowie kleinen Komitees durchgeführt. Überall in der Schweiz gibt es daher Möglichkeiten, sich einer Streikgruppe anzuschliessen oder selber etwas zu organisieren.

RECHTLICHE INFORMATIONEN FÜR ANGESTELLTE HEBAMMEN UND ARBEITGEBERINNEN ODER ARBEITGEBER
PDF DES ARTIKELS IN DER «OBSTETRICA»

Der Hebammenberuf ist ein typischer Frauenberuf, der fast zu 100 Prozent von Frauen ausgeübt wird. Hebammen sind deshalb von den Frauenstreikthemen gleich mehrfach betroffen: als Gesundheitsfachperson mit klarem Fokus auf das Frausein, als Angestellte oder selbstständige Geschäftsfrau sowie als Frau und Mutter.

 

Warum sollen auch Hebammen streiken?

Unbezahlte Care-Arbeit

Laut einem durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau erarbeiteten Grundlagenpapier «Absicherung unbezahlter Care-Arbeit von Frauen und Männern – Anpassungsbedarf des Sozialstaats in Zeiten sich ändernder Arbeitsteilung» (2012) werden in der Schweiz 2,3 Mrd. Arbeitsstunden für unbezahlte Care-Arbeit in Form von Betreuungs- und Pflegeaufgaben für Kinder und unterstützungsbedürftige Erwachsene geleistet, was einem materiellen Wert von über 80 Mrd. CHF entspricht. Frauen in der Schweiz erledigen zusätzlich zu ihrer bezahlten Arbeitstätigkeit zwei Drittel dieser unbezahlten Care-Arbeit und reduzieren daher häufig die Erwerbsarbeit. Teilzeitarbeiten heisst: schlechtere Arbeitsbedingungen, niedrigere Löhne, schlechtere Laufbahnchancen, hohe familienexterne Betreuungskosten und Einbussen bei den Sozialversicherungen und Renten. Dies gilt auch für Frauen, die sich (vorübergehend) aus der Erwerbstätigkeit zurückziehen und später wieder in den Beruf einsteigen möchten. Care-Arbeit erhält keine ökonomische Anerkennung und wenig gesellschaftliche Wertschätzung. Hebammen arbeiten häufig Teilzeit, organisieren Familie und Haushalt und sind an Wochenenden oder in der Nacht arbeitstätig.

 

Humanitäre Arbeitsbedingungen

Schwangere Frauen oder Mütter nach der Geburt erfahren in der Arbeitswelt wenig Wertschätzung. Der fehlende Schwangerschaftsurlaub, der kurze Mutterschaftsurlaub, der minimale Vaterschaftsurlaub sowie die fehlenden oder zu teuren familienergänzenden Betreuungsangebote verursachen Stress und setzen Frauen sowie Familien unter Druck. Hebammen versuchen, dies aufzufangen, indem sie die individuelle Stärke jeder Schwangeren fördern und den natürlichen Prozess von Schwangerschaft und Geburt trotz Widerständen ins Zentrum rücken.

 

Interventionsarme Geburtshilfe

Hebammen bewegen sich im Spannungsfeld einer medizintechnischen Überversorgung von gesunden Schwangeren und einer geburtshilflichen Unterversorgung von Frauen in Randregionen oder von sozial und kulturell benachteiligten Frauen. Hebammen leisten professionelle Arbeit in sehr komplexen Situationen und übernehmen dabei eine grosse Verantwortung für Mutter und Kind. Hebammengeleitete Einheiten, in denen Hebammen sowohl fachlich wie strukturell die Leitung für die physiologische Geburtshilfe innehaben, sind erst vereinzelt und zögerlich am Entstehen.

 

Fehlende Vernetzung

Noch immer gibt es Kantone, die keine Konzepte im Bereich der Frühen Kindheit entwickelt haben. Es fehlt an Vernetzungsmöglichkeiten aller Akteurinnen und Akteure zugunsten der Chancengleichheit für alle Mütter und deren Kinder. Hebammen setzen sich deshalb auf kantonaler Ebene dafür ein, dass Familien aus vulnerablen Gruppen die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um gesund ins Leben starten zu können.

 

Mehr Hebammenexpertise

Geburtshilfliche Standards für das klinische Setting werden für den physiologischen Schwangerschafts- und Geburtsverlauf immer noch fast ausschliesslich von gynäkologischen Fachgesellschaften entwickelt. Der Dialog mit Verantwortlichen der Hebammenforschung und des Berufsverbandes der Hebammen ist noch zu wenig etabliert. Anpassungen von Standards werden meist erst nach langem, intensivem Engagement möglich. Die Expertise von Hebammenexpertinnen und die Erkenntnisse aus der Hebammenforschung sollen zukünftig in die Entwicklung neuer geburtshilflicher Richtlinien einbezogen werden.

 

Bessere Arbeitsbedingungen

Die Ökonomisierung in der Geburtshilfe und die Einsparungen beim Personal sind so weit gediehen, dass eine adäquate 1:1-Betreuung, die sowohl für die Gebärende wie auch für die begleitende Hebamme stimmig ist, praktisch inexistent geworden ist. Viele angestellte Hebammen stehen unter Stress, der Druck bei der Arbeit ist hoch. Dass Gebärende unter dieser Situation leiden, wird in den Debatten rund um das Thema «Gewalt in der Geburtshilfe» ersichtlich. Frauen dürfen bei der Geburt nicht Opfer von verfehlten gesundheitspolitischen Sparmassnahmen werden.

 

Zu tiefe Löhne

Die Löhne der angestellten wie auch der frei praktizierenden Hebammen widerspiegeln in keiner Weise die lange fachliche Ausbildung auf Fachhochschulebene und die hohe Verantwortung. Die Arbeit ist unterbezahlt, seit vielen Jahren stagnieren die Löhne.

 

Zu tiefe Tarife

In der ausserklinischen Geburtshilfe werden die ambulanten Leistungen der Hebammen noch immer nicht adäquat vergütet. Die Fallpauschalen für stationäre Geburten und Wochenbettaufenthalte in den Geburtshäusern sowie die Tarife für ambulante Hebammenleistungen sind trotz intensiven Verhandlungen nicht vollständig kostendeckend. Tarife zu verhandeln ist teuer und aufwendig. Der Rahmenvertrag, der die ambulanten Hebammenleistungen definiert, ist 25 Jahre alt, entspricht nicht mehr den heutigen Gegebenheiten und wurde deshalb in den letzten drei Jahren von den Vertragspartnern neu verhandelt. Die Genehmigung durch den Bundesrat zögert sich seit Monaten hinaus.

 

Die Folge von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen betreffen Hebammen ganz zentral. Es braucht politisches Engagement, damit die Rechte von Frauen, Müttern und deren Kindern gewahrt und strukturelle Defizite, mit denen sich berufstätige Mütter konfrontiert sehen, endlich verändert und verbessert werden.

 

Wie können Hebammen streiken?

Es gibt viele, verschiedenartige Formen, sich am Frauen*streik zu beteiligen:

  • Hebammen tragen am 14. Juni die Farbe Lila, den Button des Schweizerischen Hebammenverbandes, T-Shirts oder Halstücher mit Streiksymbolen oder Slogans.
  • Hebammen hängen Plakate, Fahnen oder Transparente an Fenster und Balkone.
  • Hebammen sprechen mit Frauen, mit ihren Klientinnen, mit Kolleginnen und Kollegen und informieren sie zum Frauen*streik. Sie thematisieren Gleichstellungsfragen in der Arbeit und diskutieren die Forderungen des SHV. Sie machen bereits im Vorfeld des Streiks auf diese aufmerksam.
  • Um 11 Uhr (1. Nationaler Fixpunkt) machen Hebammen Lärm vor dem Gebäude, in dem sie sich gerade befinden.
  • Um 15.24 (2. Nationaler Fixpunkt) beginnt die Zeit der «Gratisarbeit». Hebammen begeben sich an einen regionalen oder kantonalen Streiktreffpunkt oder legen «symbolisch» die Arbeit nieder. Sie beenden ihre Arbeit wenn möglich 20 Prozent früher als sonst, weil Frauen im Durchschnitt noch immer 20 Prozent weniger Lohn bekommen. Sie bestreiken die administrative Arbeit, um mehr Zeit für die wichtigen Aufgaben wie Pflege und Betreuung zu haben.
  • Angestellte Hebammen organisieren in Absprache mit der Leitung Protestpausen, verlängerte Pausen oder Versammlungen. Sie beteiligen sich an ein- oder zweistündigen, halb- oder ganztägigen Streiks, wo immer das möglich ist.
  • Hebammen bringen an ihrem Arbeitsort gut sichtbar ein Plakat an mit der Aufschrift: „Heute ist Frauen*streik – stellen Sie sich vor, wir wären heute nicht für Sie da!“
  • Frei praktizierende Hebamme leisten erklärtermassen nur Notfalldienst.

Der SHV freut sich auf einen bunten, lauten, solidarischen Frauenstreiktag. Nur wer gemeinsam auftritt – Frauen mit den Hebammen, Hebammen mit den Frauen –, ist stark und erreicht dringend notwendige Veränderungen.

 

Organisationen, die den Streik unterstützen: